16. April 2024 Reinhard-Schulz-Preis

Dankesrede Theresa Beyer

Ich möchte mich zu aller erst ganz herzlich bedanken: Bei der Jury und Peter Hagmann für die Laudatio; bei der Initiatorin des Reinhard-Schulz-Preises Anke Kies; bei Thomas Schäfer und dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt. Ich möchte mich weiterhin bedanken beim Redaktor der Sendung „Musik unserer Zeit“ beim Schweizer Radio SRF 2 Kultur Florian Hauser, der mir jegliche Freiheit lässt bei meinen Sendungen und schräge Themen liebt; bei Thomas Burkhalter, mit dem ich durch unsere gemeinsame Arbeit beim Musiknetzwerk Norient immer wieder neu mein globales Bewusstsein schule; bei meiner ehemaligen Chefin und Radio-Mentorin Lislot Frei; bei meiner Freundin und Kollegin Mariel Kreis, dich mich ermutigt hat, meine Sendungen für den Preis einzureichen und bei meiner Familie, die mir von klein auf das kritische Hören beigebracht hat.

Der Reinhard-Schulz-Preis hat eine ganze Reihe Gedanken zum Musikjournalismus über zeitgenössische Musik in mir losgestoßen. Ich möchte diese Gedanken gerne mit Ihnen teilen. Vorab kurz etwas zu meiner journalistischen Vision: Ich stehe vor Ihnen als Musikethnologin – und auf dieser Ausbildung fußt auch mein journalistisches Selbstverständnis: auch der zeitgenössischen Musik möchte ich mit einem ethnologischen Blick begegnen. Das heißt ich möchte Wertmaßstäbe hinterfragen, nach denen ich Kompositionen und Aufführungen beurteile; Szenen und Netzwerke untersuchen; die Bedeutung des Ortes für die Musikproduktion erforschen; meine eigene Rolle als Journalistin reflektieren und auf die Suche gehen nach eigenständiger, gehaltvoller, frischer Musik – nicht nur in Basel oder Berlin, sondern auch in Mexico City oder Istanbul – Städte, die längst ihre eigenen Szenen für zeitgenössische und experimentelle Musik etabliert haben und mit ungewöhnlichen Ansätzen aufwarten.

Theresa Beyer. Foto: Martin Hufner
Theresa Beyer. Foto: Martin Hufner

Fragen, die ich mir in meiner journalistischen Arbeit stelle sind zum Beispiel: Wie machen Musikerinnen und Komponisten zeitgenössischer Musik die Popkultur für sich fruchtbar? Was sind die Herausforderungen in einer Stadt wie Belgrad, eine Szene für zeitgenössische Musik zu etablieren? Klingt experimentelle Musik, die abseits in den Tälern im Tessin entsteht anders, als die Musik der urbanen Zentren?

Diese Themen, diese Klänge, diese Nischen zu finden – und für sie jeweils die richtige Sprache und Form, braucht Zeit. Zeit, die für einen Musikjournalisten heute ein wertvolles Gut ist. Entdeckungsreisen mit offenem Ausgang und tiefgehende Recherche finden deswegen in meinen täglichen Arbeitsabläufen kaum Platz. Diese Strukturen werden von Jahr zu Jahr enger. Und es sind Strukturen, die gerade Journalismus über Nischen und über Musik, bei der man zwei Mal hinhören muss, schwierig und nur mit einer gehörigen Portion Passionsüberstunden überhaupt möglich machen.

Und gleichzeitig vergesse ich keinen Moment, in welch privilegierter Position ich bin: Ich habe eine Festanstellung bei einem gebührenfinanzierten öffentlichen Radio. Ich lebe in einem Land wie der Schweiz, in dem Pressefreiheit herrscht, in dem ich uneingeschränkt über zeitgenössische Musik berichten kann. Ich halte inne und schätze das zutiefst wert.

Trotzdem bringt mich der Reinhard-Schulz-Preis zum Nachdenken: Was mag die Zukunft für eine junge Musikjournalistin oder einen jungen Musikjournalisten – auch jenseits des Radios – bringen? Ich kenne kein deutschsprachiges Online-Musikmagazin mit einem funktionierenden Finanzierungsmodell, Tageszeitungen zahlen für Musikkritiken kaum noch Honorar, bei Fachmagazinen für zeitgenössische Musik sieht es nicht anders aus.

Ich sehe das als Gefahr: Wenn Musikjournalismus in der Freizeit passieren muss, wenn er zum Privileg wird für Menschen mit anderen Jobs, oder nur von Insidern betrieben wird, dann droht er zu affirmativ zu werden.

Ich bin überzeugt es braucht ihn: den Musikjournalisten als Vermittler, als Begründer von Qualität, als Übersetzer von Fachdiskursen, als Filter und Wegweiser. Ich bin überzeigt es braucht ihn: einen Musikjournalismus, der aus den Inhalten erwächst, nicht aus Managementstrukturen, Formaten und Einschaltquoten. Einen Musikjournalismus, der kritisch umgeht mit Duktus und Trends, mit Abhängigkeiten von Konzertbetrieb und Plattenindustrie oder Machtgefügen von Szenen, die oft nach wie vor weiß und männlich dominiert sind.

Der Reinhard-Schulz-Preis macht mir Mut, für diesen unabhängigen und professionellen Musikjournalismus zu kämpfen und innerhalb dieses Musikjournalismus einen Raum für die zeitgenössische Musik und für Nischenmusik einzufordern.

Doch wo ist dieser Raum in Zukunft? In den Fachmagazinen? In den (noch) geschützten Formaten der öffentlich-rechtlichen Sender? Oder müssen wir uns langsam umorientieren in Richtung Radiopodcasts auf Soundcloud oder Spotify? Oder andocken an international vernetzte, englischsprachige Onlineblogs?

Ich hoffe, dass wir Journalisten, gemeinsam mit den Hörerinnen, Lesern, Musikerinnen, Wissenschaftlern, Liebhaberinnen und Kulturförderern dazu beitragen können, dass zeitgenössischer Musikjournalismus in einer Pluralität von Formaten stattfinden kann. Denn nur so können Diskurse entstehen und gegeneinanderstehen und Meinungsmonopole vermieden werden.

Vielleicht ist zeitgenössische Musik auch dort gut aufgehoben, wo sie sich behaupten und reiben muss: in genreübergreifenden Formaten oder Kulturmagazinen. Denn gerade wenn zeitgenössische Musik selbstverständlich neben Popkultur, Weltmusik und Theater steht, kann sie neue Hörerinnen und Hörer begeistern und in den Konzertsaal locken.

In diesen allgemeineren Kultur-Formaten müssen wir Journalistinnen und Journalisten zeitgenössische Musik auf den Prüfstand stellen. In der Redaktionssitzung zur aktuellen Berichterstattung kann das durchaus ungemütlich werden: Wenn die Digitalredaktion einen Beitrag darüber vorschlägt, wie die permanente Nachrichtenflut unser Leben beeinflusst, wenn die Religionsredaktion fragt, wie religiöse Radikalisierung zu verhindern ist, wenn die Gesellschaftsredaktion über ein Theaterprojekt mit Geflüchteten berichtet, dann fällt es mir manchmal schwer, die Relevanz einer aktuellen Uraufführung zu begründen. In diesen Momenten scheint es mir, als würde die Welt an der zeitgenössischen Musik vorbeiziehen.

Und dann kommt mir Louis Andriessen in den Sinn, der sagt, dass Musik sowieso nie abzukoppeln sei vom gesellschaftlichen und politischen Kontext, in dem sie entsteht und erklingt. Dann höre ich sein Instrumentalstück „Workers Union“ von 1975 – vierzig Jahre später in einem neuen Kontext – und stelle fest, wie brisant diese Musik ist. Dann verfolge ich, wie die Neuen Konzeptualisten unsere globalisierte und digitalisierte Gegenwart kommentieren oder erfahre, dass experimentelle Musik nach wie vor Sprengkraft hat. Dann fällt mir ein, dass zeitgenössische Musik jenseits der Schlagzeilen reflektieren, ordnen und berühren kann. Dass Dringlichkeit manchmal nur ein Klang ist. Dass zeitgenössische Musik das Zeug hat, Visionen zu formulieren.

Diese Musik möchte ich aufspüren, hinterfragen und Formen und Formate entwickeln, die sie stimmig kontextualisieren und vermitteln. Mit aller Zeit und Sorgfalt, die das verlangt. Und dazu motiviert mich dieser Preis, für den ich mich von ganzem Herzen bedanke.


Von nmzMedia gibt es einen Zusammenschnitt auf Video.