19. März 2024 Reinhard-Schulz-Preis

Dankesrede Leonie Reineke

Vielen Dank, ich freue mich sehr über die Wertschätzung. Ebenso freue mich darüber, dass ich eine ähnliche Art der Wertschätzung regelmäßig in meinem Arbeitsalltag erlebe. Denn ein persönliches »Danke« von Kollegen für die gemachte Arbeit ist nicht in jedem Beruf selbstverständlich. Und deshalb möchte ich nun die Gelegenheit nutzen, selbst einigen Personen zu danken.

An erster Stelle bedanke ich mich bei der Jury für die Anerkennung, außerdem bei der Initiatorin des Reinhard-Schulz-Preises Anke Kies, beim Internationalen Musikinstitut Darmstadt und dem Förderverein des IMD. Gesondert möchte ich einigen einzelnen Personen danken, da es in den letzten Jahren vor allem eins-zu-eins-Situationen waren, die mich in irgendeiner Form weitergebracht haben, (und die sicherlich auch für die Rundfunkarbeit paradigmatisch sind):

Ich danke Carolin Naujocks (Deutschlandfunk Kultur), bei der ich regelmäßig erlebe, dass Zwiegespräche nicht nur in einem abwechselnden Absondern von Gedanken bestehen, sondern in einem »gemeinsamen Nachdenken«. Außerdem habe ich sie bei Kritik oder Meinungsverschiedenheiten immer als ungewöhnlich konstruktiv und aufbauend erlebt. Weiter danke ich Frank Hilberg (WDR 3), von dem ich gelernt habe, dass Genauigkeit bei der Arbeit mit Sprache keine Grenzen kennt; und dass es sich entsprechend lohnt, Worte auf die Goldwaage zu legen, und manchmal sogar Ideen vollständig aufzugeben und neu anzufangen. Dann danke ich Rainer Pöllmann, der es mir schon vor Jahren ermöglicht hat, die wildesten, aufregendsten und komplexesten Live-Sende-Situationen mitzuerleben und zu gestalten. Dabei habe ich gelernt, dass das Moment der latenten Überforderung eine der besten Entwicklungsgrundlagen überhaupt ist. An dieser Stelle möchte ich auch der gesamten Musikredaktion danken, die beim Deutschlandfunk Kultur fürs Abend- und Nachtprogramm zuständig ist, denn bei den Kollegen in Berlin habe ich immer das Gefühl, dass meine Ideen willkommen sind und dass die Zusammenarbeit auf Vertrauen beruht.

Außerdem bedanke ich mich bei dem Komponisten Gordon Kampe, der schon vor vielen Jahren zu einem meiner ersten Verbündeten wurde, was die Begeisterung für neue Musik betrifft; und von dem ich mich immer unterstützt und verstanden fühle – nicht nur, wenn es um Ruhrpott-Patriotismus bzw. Ruhrpott-Müdigkeit geht, sondern auch im Nachdenken über zeitgenössische Kultur und Musik. Weiterhin danke ich dem Komponisten und Elektronikmusiker Florian Zwißler, bei dem ich die Kombination aus grenzenlos kreativer Fantasie und sachlicher Differenziertheit sehr bewundere. Dementsprechend habe ich den Eindruck, dass unsere gemeinsamen Gespräche mich immer auf neue Denk- und Sichtweisen stoßen lassen. Ähnliches – wenn auch auf eine andere Weise – gilt für den Komponisten Mathias Spahlinger, dem ich ebenfalls für alle ausgearteten Gespräche danke.

Leonie Reineke. Foto: Martin Hufner
Leonie Reineke. Foto: Martin Hufner

Ich bedanke mich weiterhin bei meinem Kollegen Michael Rebhahn (SWR2), mit dem es viel Spaß macht, über Geschmacksfragen oder Meinungen zu empfindlichen Themen im Musikleben zu sprechen. Außerdem erlebe ich hier, dass – obwohl unsere »Spezies« doch eher als Einzelkämpfer arbeitet – eine gegenseitige kollegiale Unterstützung nicht nur möglich, sondern auch für beide Seiten produktiv und gewinnbringend ist; sowohl, wenn es um ganz pragmatische, technische Dinge geht, als auch bei inhaltlichen Fragen. Dann danke ich Frank Kämpfer (Deutschlandfunk), bei dem ich in meiner Themen- und Projektentwicklung sehr viel Freiheit habe, was die Arbeit für mich ungemein kreativ macht. Außerdem bin ich dankbar für die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, die ich in dieser Zusammenarbeit erlebe. Ich danke auch Stefan Fricke (hr2-kultur), dessen Beobachtungsgabe ich bewundere – vor allem, wenn es um unauffällige oder ungewöhnliche Details geht. Denn dadurch entstehen Gespräche, die völlig unvorhersehbare Verläufe nehmen, was mir sehr gefällt.

Abschließend möchte ich auch allen Hörern danken, die sich für das Medium Radio interessieren – und die sich teilweise sogar ihrerseits für Sendungen bedanken. Denn in solchen Momenten merke ich, dass mir offenbar eine Form der Vermittlung oder Kontaktaufnahme gelungen ist. Und genau darin liegt für mich eine der wichtigsten Aufgaben bei der Rundfunkarbeit.

Ausblick

An dieser Stelle möchte ich zu einem Ausblick übergehen: Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begreife ich als Medium, das eine Alternative zum Mainstream liefern kann; das etliche verschiedene Dinge abbilden kann, die zum Teil von Minderheiten hervorgebracht werden. Der große Vorteil ist hier: Man muss diese Alternative zum Mainstream nicht erst in irgendeiner Nische aufspüren – keinen Link zu einer versteckten Website kennen oder stundenlang in Suchmaschinen recherchieren –, sondern das Medium ist in der Gesellschaft bekannt und präsent, trotz aller heutigen Online-Alternativen. Es bietet »kuratierte«, professionell aufbereitete (bzw. künstlerisch aufbereitete) Inhalte an, ohne dabei einem kommerziellen Interesse Folge leisten zu müssen. Diese Inhalte können ortsunabhängig empfangen werden; praktisch jeder kann an ihnen teilhaben, vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche. Und einmal das Radio angeschaltet, muss der Hörer nehmen, was gesendet wird. Das macht ohne Zweifel Sinn: als Gegengewicht zu sämtlichen virtuellen Echokammern und Filterblasen. Der Rundfunk liefert also beste Voraussetzungen, um Dinge großflächig verbreiten zu können, die woanders nicht zu finden sind. Und da hat auch die neue Musik meiner Ansicht nach unbedingt einen Platz.

Den ein oder anderen Hörer, der den Platzhalter »Musik im Radio« ausschließlich mit Dvořák oder Brahms besetzt hat, wird man möglicherweise für neue Musik nicht begeistern können; aber diejenigen, die sich für zeitgenössische Kultur und aktuelle Gesellschaftsthemen im Allgemeinen interessieren, sicherlich schon. Ich bin überzeugt, dass neue Musik keinesfalls nur etwas für Fachkreise ist. Denn genauso, wie ich mich für eine seltene Pflanzenart interessiere, wenn das Thema in einem Feature gut aufbereitet ist, interessiert sich womöglich auch der Biologe, der sich mit der Pflanze beschäftigt, für die neue Musik im Radio – wenn sie auf eine fantasievolle Weise präsentiert wird.

Und damit sind wir beim Reinhard-Schulz-Preis: »Zeitgenössische Musikpublizistik« – das lässt sich auf zwei Arten verstehen, je nachdem, wie man es betont: einerseits als »Zeitgenössischemusik-Publizistik«, also das Berichten über und das Vermitteln von zeitgenössischer Musik; und andererseits als »zeitgenössische Musikpublizistik«, also das zeitgenössische (oder zeitgemäße) Publizieren über Musik. Darunter verstehe ich, dass man sich traut, von Routinen abzuweichen, andere Formate auszuprobieren, oder auch – wenn das Thema es erlaubt – ganz verschiedene Arten zeitgenössischer Musik aufeinandertreffen zu lassen. Im alltäglichen Leben sind doch viele von uns auch gleichermaßen (und ganz selbstverständlich) mit Hoch- sowie mit Popkultur befasst. Wieso sollte sich das nicht auch in unseren Sendungen widerspiegeln? Im Idealfall also betreibt man »zeitgenössische zeitgenössische Musikpublizistik«.

Hier setzt eine konkrete Überlegung an: Immer wieder bin ich beim Nachdenken oder im Gespräch mit Kollegen auf den Gedanken gekommen, man könne doch sicherlich noch mehr mit dem Rundfunk experimentieren. Vielleicht könnte man sogar in irgendeiner Weise das Medium Radio in seinen Sendungen selbst reflektieren. So war es beispielsweise in der Funkoper, einer Gattung, die nach zwei kurzen Blüten – in den späten Zwanzigerjahren und nach dem Zweiten Weltkrieg – mehr oder minder verschwunden ist. In diesem Genre ging es mitunter darum, die rundfunktechnischen Möglichkeiten aktiv in die Arbeit einzubinden und damit eine genuin radiophone Kunst zu produzieren. An vielen dieser Ideen wurde allerdings nicht weiter angeknüpft. Die Funkoper ist heute mehr oder minder obsolet. Ausgewiesene Radiokunst entsteht vor allem an der Hörspiel-Front. Dort wiederum spielt Musik oft nur eine Nebenrolle.

Ich habe also den Eindruck, dass hier noch ungenutztes Potenzial liegen könnte. Denn das Radio ist schließlich nicht nur ein Verbreitungsmittel, sondern auch ein »Ausdrucksmittel«, das Klang ohne Bild liefert. Und diese Darreichungsform hat nach wie vor ihre ganz eigene Qualität, die – wie Rudolf Arnheim es in seiner Radiotheorie formuliert hat – einem »echten menschlichen Bedürfnis« entgegenkommt. Und wenn man im Radio Experimente mit Darstellungsformen oder alternativen Produktionskonzepten machen könnte, dann doch gerade in der neuen Musik. Natürlich reichen die Mittel nicht unbedingt für die Produktion einer Sendung aus, an der gleich drei Autoren und zwei Komponisten beteiligt sind, aber sicherlich gibt es andere Wege, das Medium in besonderer Weise zu nutzen.

Zum Beispiel ist es bei Festivals oft so, dass das Publikum im Saal möglichst nichts davon merken soll, dass das Konzert gerade live gesendet wird und der Moderator im Ü-Wagen nervös die Zeiten stoppt. Und genauso soll der Radiohörer zuhause am besten nicht mitbekommen, wie unberechenbar die Situation im Saal ist. Auch hier gäbe es vielleicht Möglichkeiten, Veranstaltung und Sendung noch erkennbarer miteinander zu verschränken, zum Beispiel mit dem Auftrag einer Radiokomposition für ein Festival o.ä….

Das sind natürlich angefangene, nicht zu Ende gedachte Ideen. Aber so soll es sein, denn ich habe vor, zu diesem Thema eine Konferenz zu organisieren: zu Möglichkeiten der radiophonen Präsentation von zeitgenössischer Musik. Auf welche Weise(n) könnte man Sendungen und Konzertübertragungen kreativ gestalten, welche scheinbar absurden Ideen wären es wert, einmal ernsthaft weitergedacht zu werden? Fragen dieser Art würde ich gerne mit Kollegen – nicht unbedingt nur aus dem Musikbereich – bei einer Konferenz diskutieren. Die neue Musik und der Rundfunk sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Allerdings soll es keine Veranstaltung ausschließlich für Fachleute sein, sondern eine öffentliche Tagung, zu der jeder interessierte Zuhörer kommen kann. Und in dieses Vorhaben möchte ich das Preisgeld als Eigenanteil einfließen lassen – gewissermaßen als Startkapital, an das sich idealerweise noch weitere Fördergelder anschließen. Die Veranstaltung soll 2019 oder 2020 stattfinden, Termin und Ort werden so frühzeitig wie möglich bekanntgegeben.

Herzlichen Dank!